"Wir werden alle immer oberflächlicher." – Dieser Satz traf mich mit voller Wucht, als ich mich mit anderen Menschen zu einem sehr netten Netzwerk-Abend traf. Es ging weiter: Wir alle trügen Masken und zeigten kaum noch unser wahres Ich. Verantwortlich für einen Teil dieser Entwicklung seien die sozialen Netzwerke.
Jetzt ist natürlich eine Aussage, die "alle" und "immer" beinhaltet, ziemlich unklar. Vor allem steht natürlich die Frage im Raum, welchen Referenzpunkt wir für den Vergleich heranziehen könnten? Eine Zeit vor zehn, zwanzig Jahren, vor 50 Jahren oder um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert?
Aus meinen Gedanken dazu habe ich direkt eine Podcast-Folge gemacht:
Und nun zum Artikel:
Wir könnten jetzt zur Bestätigung der These die Untersuchung von der Aufmerksamkeitsspanne und dem Goldfisch heranziehen. Die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs sei mit 9 Sekunden länger als die eines Menschen im Jahr 2013 mit 8 Sekunden. Menschen seien zudem noch kürzer bei der Stange zu halten als 2000, als diese Spanne noch 12 Sekunden betrug.
Hört sich gut an.
Das Problem ist, dass der Vergleich nicht stimmt. Der Aussage liegt eine Untersuchung von Microsoft Kanada aus dem Jahr 2015 zugrunde, in der untersucht wurde, wie lange wir uns auf (soziale) Medien konzentrieren. Die Studie kam zu dem Ergebnis, "dass Menschen, die sich häufig mit digitalen Medien auseinandersetzen, Informationen intensiver und effizienter aufnehmen sowie Relevanter schneller herausfiltern." (Quelle: onlinemarketing.de/news/aufmerksamkeit.goldfisch-mythos)
Zum Goldfisch sagt die Studie wenig, er taucht nur in einer einzigen Grafik auf. Die zudem noch aus zweifelhafter Quelle stammt. Der Vergleich hinkt also.
Was stimmt: Wir langweilen uns schneller und wechseln zu einem anderen Medium, wenn uns ein Inhalt nicht anspricht. Wir scannen schneller, finden uns wichtige Inhalte schneller. Wir wissen also die vielfältigen Medien immer besser zu nutzen.
In einem anderen Punkt scheinen wir Menschen trotz veränderter Mediennutzung erstaunlich konsistent zu sein: Die Anzahl menschlicher Beziehungen hat sich in den letzten Jahren nicht wirklich verändert – egal, ob und wie intensiv wir Medien nutzen. Grundlage dafür sind die Forschungen des Anthropologen Robin Dunbar in den 1990er Jahren. Die nach ihm benannte Dunbar-Zahl besagt, dass wir mit ungefähr 150 Menschen stabile soziale Beziehungen unterhalten können. 2014 belegte der britische Forscher in einer Studie, dass sich diese Anzahl sowie die Zahl der ganz engen Beziehungen – zirka 4 bis 6 Personen – auch nicht durch moderne soziale Netzwerke geändert hatte.
Wenn wir uns in Netzwerken bewegen, hilft es vielleicht, sich klarzumachen, dass wir uns nicht allen Menschen gleich intensiv widmen können. Wir sollten unterscheiden zwischen den Menschen, die wir für unser Projekt, Unternehmen, unseren Job brauchen. Wenn ich zu meinen Kunden eine Verbindung im Netzwerk aufbauen möchte, sollte ich unterscheiden zwischen meinen Einhörnern, Flamingos oder Faultieren. Einhörner stehen dabei für die Kunden mit großem Potenzial und so weiter*.
Auf diese Menschen sollte ich mich konzentrieren und ihnen Inhalte, Produkte, Lösungen anbieten, die sie wirklich brauchen.
*Es ist selbstverständlich, dass diese Einteilung keine Bewertung von Menschen an sich ist, wie manche befürchten.
Bild: nudi/photocase.de
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